Sonntag, 6. November 2011

Stadtschamanen - ein Leben im Exil

Gestern am Fluss

Gestern habe ich mich mit dem Wald vereint.
Es ist nicht nötig irgendwelche Rituale durchzustottern, der einfache Moment wenn du zwischen den Bäumen kniest, sie neben dir, unter dir, über dir hast wie gute Freunde, wie den archaiischen Mutterleib einer Erdgöttin - allein das ist Verbindung genug.

Eigentlich trugen mich meine Füße von ganz allein zu diesem Ort. Der grobe Plan war es, die letzten Sonnenstunden zu genießen und sich mit ein wenig Obst und einem sattmachenden Mitbringsel an einen ruhigen Ort zurück zu ziehen.


Unsere Stadt ist ganz in Ordnung.
Ehrlich - es gibt viele alte, noch mittelalterliche Gebäude hier, sehr viele Bäume, eigentlich tut man nicht Unrecht wenn man sie eine zu groß geratene Kleinstadt nennt... ich kenne jedenfalls ganz anderes!
Dennoch ist die Luft voller Dreck. Die Straßen sind laut und hektisch, die Menschen sind angespannt und feindselig...


Ich stand also unvermittelt an der Stelle die ich vor Monaten aufgesucht hatte als die Bäume langsam grünten... nun waren ihre Blätter gelb. Der Fluss war durch üppige Sträucher abgeschirmt, der Unterschied zum Frühjahr konnte kaum größer sein. Ich fühlte mich wohl... weiter Fluss abwärts gerufen lud man mich zum Verweilen ein, ich setzte mich auf einen Ast, beschaute das Wasser und aß.
Das Wasser war recht klar, an einer Nische hatte ich davon getrunken und mich kurzzeitig gefreut dass es genießbar schmeckte... Es ist ein Frevel sondersgleichen dass wir es wagen können unsere Flüsse mit Industriestoffen zu vergiften. Es ist allarmierend dass in einem großen Teil der Flüsse lange kein Fischbestand mehr war - so giftig waren sie schon!
Ich hatte mich leider zu früh gefreut.
Zuerst zerriss ein Knall die Stille. Offensichtlich gab es auf der anderen Seite einen Jägerstand. Ich kann nur hoffen der Schießkolben war schlecht geführt und das Tier ohne siechende Verletzungen entflohn... dran glauben mag ich nicht.
Das Jägertum ist ein Gräuel für jedes freie Leben in diesem Land - nicht wegen des Tötens an sich - sondern wegen dem Weg auf dem es geschieht...

Welche Zeit es war weiß ich nicht, ich kann sagen dass die Sonne tief hinter den Bäumen stand - da trieb erster Schaum an mir vorbei...
kurze Zeit später wurde es zu einem ganzen Strom großer weißer Schaumschollen auf dem bis eben so ruhigen Nebenarm - sie rissen auch nicht ab, wurden zu einer endlosen Reihe chemischer Substanz, lediglich das schweigsame Anzeichen eines unsichtbaren Stroms von Industriewasser...
ich ging.

An dem Ort an dem ich vor einem halben Jahr gesessen hatte, hatten andere Menschen ein Lagerfeuer gemacht. Das verkohlte Holz hatten sie einfach in der Mitte des Orts liegen lassen, aller Müll der dabei fabriziert worden war - von Dosen über Folie und leere Tetrapacks, lag in der Mitte der Holzreste so als ging man davon aus es würde irgendwann schon von allein verschwinden.



Ich frage mich, was denkt sich diese Welt?
Wie degeneriert können wir Menschen uns entwickelt haben, dass es uns egal ist was Leute vorfinden die nach uns kommen?!
Ob es nun der Fluss ist den man vergiftet oder der Müllberg den man dort hinter lässt wo man kurzzeitig gefeiert hat... es geht ums eigene Momentane Wohl - alles andere wird ausgeblendet.
"Aus den Augen, aus dem Sinn" - ein anderer findet schon eine Lösung dafür, wozu sollte ICH denn etwas tun, es finden sich doch immer andere.

Vom Feldweg zurück auf die "kultivierten" Teile der Insel, holte die Zivilisation mich sofort ein. Es war nur ein Auto was da holpernd, klappernd, aufreizend langsam durch die Botanik schliff aber als Sinnbild stand es für sich.

Die untergehende Sonne warf goldene Strahlen auf die Baumkronen vor mir - ein besonders hochgewachsener Baum strahlte in einem einzigen orangegelben Licht. Es hatte etwas magisches, so unbestimmbar auch sein mag was man energetisch fühlt... ich hätte Stunden dort stehen können... das Auto und eine Gruppe von Spaziergängern mit Hund vertrieben mich aber bald.

Es ist garnicht mehr möglich ungestört etwas zu genießen glaube ich... stell dich an den Weg und bewundere das Abendlicht an einem Baum... du wirst Blicke ernten die dir unterstellen dass du in psychische Behandlung gehörst und "im Kopf nicht mehr ganz richtig" sein musst!
Dies kommt von Menschen, die nach stupider Arbeit in ihrem Hamsterrad schnell mal gezwungen die Bedürfnisse ihres Haustieres teilbefriedigen und dabei wahrscheinlich 5 Zigaretten aufbrauchen.
Dies kommt von Proleten die mit Bierkasten zu der nächstbesten Freiluftsaufparty laufen, dabei wieder einen neuen Müllberg hinterlassen werden und sich über Fussballvereine, Autotuning und ähnliches unterhalten werden.
Du weißt dass sie dich nicht verstehen können... dass du den täglichen Argwohn längst kennst. Schließlich läufst DU nicht in angepriesenen Markenlabeln herum, trinkst dich SamstagNachts nicht besinnungslos und würdest schon verzweifeln wenn du 3 Tage an einem Ort ohne FastFoodrestaurant und Einkaufsmeile verbringst...


leider gehörst du zu einer Minderheit.

Leider wäre es dir und denen die noch wie du fühlen, kaum durchführbar auf dem Dorf zu leben oder langfristig dorthin zurück zu kommen.
Deutschland ist wie Indien oder Mexiko: die Menschen sind für den Eigenanbau zu arm, das Ackerland an andere verkauft...
die Dörfer werden menschenleer, die Arbeitskräfte ziehen in die Stadt. Wohnen in Slums - in Wellblechhütten oder Plattenbauquartieren - an Hauptstraßen, Zugtrassen und nahe von giftiger Großindustrie.

Die einen haben Mangelernährung, die anderen bekommen synthetische Ersatznahrung vorgesetzt - angereichert mit Zusatzstoffen deren Bedeutung man nicht wissen will.
Uns bleibt die Luft zum Atmen weg und wir trampeln uns nahezu tot.


Schöne moderne Welt...

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