Dienstag, 13. Dezember 2011

Zwangsehe und die Rolle des Islams

Volltext von der Seite "Wissen rockt"





Religionskritik? Nein, bloß nicht!
Necla Kelek diagnostiziert einen „bizarren Versuch“ von Migrationsforschern, die „fatale Rolle des Islam“ zu leugnen.
Unterstützende Ministerin schlägt man zur Amtsentlassung vor.



Religion bleibt im Gespräch. Für neuen Streit sorgt derzeit eine im November veröffentlichte Untersuchung zur „Zwangsverheiratung in Deutschland“, die Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) entstanden ist. Sie wurde Anfang November in Berlin vorgestellt und erhitzte nach einer islamkritischen Interpretation von Bundesministerin Kristina Schröder (CDU) die Gemüter, obwohl eine wenige Wochen ältere Studie der Leuphana Universität Lünebürg vergleichbare Aussagen zur Rolle des Islam beinhaltet.

Der Untersuchung des BMFSFJ zufolge sind in Deutschland „überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund im Alter zwischen 18 und 21 Jahren von Zwangsverheiratung bedroht und betroffen“. Opfer sind vor allem Frauen und Mädchen, ein Drittel von ihnen sind weniger als 17 Jahre alt. Zwangsverheiratung gehe zudem oft mit familiärer Gewalt einher, psychisch, körperlich und sexuell. Die Studie bezog sich auf 3.443 Fälle, die von 830 Beratungsstellen erfasst wurden. Zu dem Phänomen gäbe es eine große Dunkelziffer, deshalb könne die Studie „keine Hinweise darauf geben, wie viele Fälle von Zwangsehen es in Deutschland gibt.“



Bundesministerin Kristina Schröder begleitete die Veröffentlichung mit einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in dem sie schrieb: „Nach Angaben der Betroffenen sind 83,4 Prozent der Eltern Muslime.“ Den Ergebnissen zufolge gebe es einen „Zusammenhang zwischen Religiosität, Machonormen und Gewaltgeneigtheit”. Weiter hieß es: „Aus gutem Grund warnen viele Wissenschaftler vor zu kurzen und zu einfachen Kausalketten. Trotzdem darf uns der religiöse Aspekt nicht kaltlassen.“ Den Zusammenhang zwischen Zwangsheirat und Islam dürfe man nicht leugnen. Sie forderte auch, dass „manche traditionelle Wurzeln endgültig durchtrennt“ werden müsste.

Unter dem Begriff „Islam“ wird derweil weiterhin allerhand diskutiert. Selbstmordattentäter und irre Prediger wie Pierre Vogel genauso wie progressive und friedliche Aleviten, kulturelle Traditionen von der Shisha bis zum Schleier, Zwangsverheiratung und Ehrenmord, Prognosen über Geburtenraten und die Wirkung christlicher Hass-Blogs.




An Schröders Äußerung erhob sich nun jedenfalls umgehend scharfe Kritik. Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der für die Untersuchung beauftragen Lawaetz-Stiftung, darunter UN-Sonderberichterstatter Heiner Bielefeldt, monierten, dass die Ministerin die Ergebnisse tendenziös interpretiert habe und die Resultate verzerren wolle. „Betroffene von Zwangsverheiratung sind zu keiner Zeit im Rahmen dieser Studie direkt befragt worden“, hieß es in der Stellungnahme.

Die Angaben zur Konfession stammten wohl tatsächlich von den Mitarbeitern der Beratungsstellen: „Es ist nicht bekannt, ob die Beraterinnen und Berater in der Praxis die Religion der Eltern abgefragt haben, ob sie im Nachhinein versucht haben, sich zu erinnern, oder ob sie bloße Vermutungen äußern.“ Ferner seien auch diese Angaben zur Religion „mit Vorsicht zu genießen, denn sie sagt nichts darüber aus, welchen Stellenwert Religion im Alltag bzw. im Handeln gespielt hat. So ist es durchaus möglich und wahrscheinlich, dass andere Faktoren als der religiöse Hintergrund eine zentrale Rolle spielen und die Religion der Täter/-innen hier lediglich Scheinkorrelationen abbildet.“

Sebastian Edathy, SPD-Innenexperte fühlte sich bemüßigt, Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entlassung der Ministerin nahe zu legen. Schröder setze nicht auf Inhalte, sondern handle ideologisch, so Edathy gegenüber dem Handelsblatt. Auch die Journalisten C. Akyol & E. Ippolito bei der taz deuteten die Stellungnahme in der regelmäßig kirchenfreundlichen FAZ zur Untersuchung als eine „Peinlichkeit“ der im Ministerium zuständigen „Kaffeesatzleserin“.



Deutlich weniger Empörung entstand hingegen, als Mitte Oktober die Leuphana Universität Lüneburg letzte Ergebnisse einer Studie (DOI: 10.1080/03906701.2011.581801) zur kulturellen Entwicklung vom Islam beeinflusster Menschen veröffentlichte. Zur „ausgeprägten Ungleichbehandlung von Mann und Frau in muslimischen Staaten“ heißt es da, dass anscheinend „der Islam selbst eine Ursache dieser patriarchalen Strukturen ist.“

Gleichzeitig stellte die im renommierten Fachblatt International Review of Sociology veröffentlichte Analyse fest, dass es einen „Trend zur Emanzipation auch in vom Islam geprägten Gesellschaften“ gebe. Für die Untersuchung wurden Umfragedaten von 130.000 Personen aus 83 Ländern analysiert. Die Leuphana bezeichnete sie als „die damit wohl umfangreichste Studie zu diesem Zusammenhang, die bislang durchgeführt wurde.“

Bei der Umfrage beantworteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem Fragen nach ihrer Religionszugehörigkeit, nach der Häufigkeit der Gottesdienst-Besuche und nach der Rolle, die Gott in ihrem Leben spielt. Mit Aussagen wie „Alles in allem sind Männer bessere politische Führer als Frauen“ oder „Eine Universitätsausbildung ist für Jungen wichtiger als für Mädchen“ würden sich Muslime wesentlich stärker als Nicht-Muslime identifizieren, so Professor Dr. Christian Welzel von der Leuphana Universität Lüneburg.  
„Die Moslems in Deutschland sind im Schnitt patriarchaler eingestellt als etwa die Katholiken hierzulande“, hieß es zur Veröffentlichung. Außerdem seien Muslime im Schnitt deutlich religiöser als Katholiken oder Juden.

Man könnte daher denken, dass die stärkere Unterstützung für patriarchale Werte einfach von dieser stärkeren Religiosität herrührt. „Das ist aber nicht der Fall“, betonte Welzels Co-Autorin Dr. Amy Alexander vom Zentrum für Demokratieforschung der Leuphana. „Wir haben uns beispielsweise nur diejenigen Menschen angeschaut, in deren Leben Gott eine besonders wichtige Rolle spielt. Auch innerhalb dieser Subgruppe identifizieren sich Muslime erheblich stärker mit den patriarchalen Aussagen als Angehörige anderer Religionen.“ Die Wissenschaftler verwiesen auf die ausgeprägte Kluft zwischen den Geschlechtern, Unterschieden im Beruf und er Ausbildung sowie der Stellung der Geschlechter in politisch und gesellschaftlich relevanten Positionen und dem Fehler demokratischer Traditionen.

„Keine dieser strukturellen Ursachen kann nach unseren Daten als Erklärung für die ausgeprägte Ungleichbehandlung von Mann und Frau in muslimischen Staaten dienen“, erklärt Amy Alexander. „Stattdessen scheint es so zu sein, dass der Islam selbst eine Ursache dieser patriarchalen Strukturen ist.“

Doch scheint auch in islamischen Staaten die Unterstützung für patriarchale Werte abzunehmen: Junge Muslime sind – unabhängig von ihrem Geschlecht – weit weniger als ihre Eltern davon überzeugt, dass Frauen hinter den Männern zurückstehen müssen. Vor allem Musliminnen unter 30 emanzipieren sich zunehmend von dem ihnen zugedachten Platz in der Gesellschaft, hieß es. Ein besserer Zugang von Frauen zu Ausbildung und Arbeitsmarkt könne diesen Trend weiter fördern.

In den Streit wegen Kristina Schröders islamkritischer Äußerungen mischte sich nun gestern auch Necla Kelek ein. Sie wandte sich in einem Beitrag bei Welt Online dagegen, dass „Forscher die fatale Rolle des Islam leugnen und kritisierte den „bizarren Versuch von Migrationsforschern, den Islam als kulturell unbedeutend zu erklären.“ Kelek erklärte, die Lawaetz-Stiftung hätte „gleich zwei Scheuklappen ablegen müssen. Die eine ist die Weigerung anzuerkennen, dass Zwangsheirat auch etwas mit einer kulturellen Disposition zu tun hat.“

Die andere Scheuklappe und Schwäche der Studie habe „auch mit der eingeschränkten Sichtweise zu tun, die Kultur des Islams bei der Betrachtung des Problems nicht zu berücksichtigen. Hierbei geht es konkret um die Abgrenzung von Zwangsehe zur arrangierten Ehe“, so Kelek

„Wer die gesellschaftliche Dimension von Religion negiert, macht einen methodischen Fehler, kommt in der Analyse zu schrägen Ergebnissen und zieht die falschen Schlüsse.“ Die Sozialwissenschaftlerin und Buchautorin weiter: „Grund für diesen wissenschaftlichen Unsinn ist der wissenschaftliche Beirat der Studie.“




Necla Kelek bemängelte, dass eine „Migrationsforscherlobby in der Lage ist, Wissenschaft zu ideologisieren und wie immer Integrationsprobleme zunächst auf ein soziales, wenn dies nicht hilft auf ein ökonomisches und nun auf ein Bildungsdefizit zu reduzieren.“

Sie attestierte den Verantwortlichen eine „naiv-romantische Vorstellung von gesellschaftlichen Strukturen und Verhalten, die an deutschen Universitäten Blüten treibt.“ Nicht ohne Grund heißt es deshalb wohl wegen der Erklärungen von Ministerinnen der Bundesrepublik Deutschland ohne Keleks Hintergrund:
Religionskritik? Nein, bloß nicht!

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