Samstag, 14. Januar 2012

Bücher von Abtrünnigen (2)


Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden:
Wie die Bibel wurde, was sie ist


Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, sondern in einem langen Prozess nach und nach entstanden. Und die, die die Geschichten und Texte weitergegeben haben, waren nicht immer die Sorgfältigsten und die Uneigennützigsten. Da wurde mitunter geschlampt und - wenn's denn der höheren Wahrheit oder dem, was man dafür hielt, diente - auch schon mal dezent verändert.

Bart D. Ehrman beschreibt an vielen Beispielen, wie die Bibel wurde, was sie heute ist. Und wer wo wann und warum die Finger im Spiel hatte. Ein kurzweiliges, unterhaltsames und sehr lehrreiches Buch.




Lesermeinungen:

Das Buch beginnt autobiographisch. Bart Ehrman war in jungen Jahren "wiedergeborener" Christ und glaubte dass jedes Wort in der Bibel von Gott verbal inspiriert wurde. Auf der Bibelschule lernte er, dass wir heute gar nicht mehr die Originalschriften des Neuen Testamentes zur Verfügung haben, sondern nur Kopien die viele Jahre später angefertigt wurden. Um die Bibel in den ursprünglichen Sprachen lesen zu können, lernte er altgriechisch, lateinisch und hebräisch. 

Dieses Buch wurde für Menschen geschrieben, die mehr über Textkritik lernen und die die Bibel besser verstehen wollen. Professor Ehrman erläutert dem Leser Schritt für Schritt die Methoden, die verwendet wurden, um zu unterscheiden, wie und warum Änderungen in den biblischen Texten gemacht wurden. Wissenschaftler sprechen von 200 000 bis 400 000 Varianten in den Manuskripten des Neuen Testamentes, das bedeutet, es gibt mehr Varianten in unseren Manuskripten als Wörter im Neuen Testament (Seite 106). 


Wenn ich dieses Buch nicht gelesen hätte, würde ich Folgendes nicht wissen:
* die beliebte Geschichte "Jesus und die Ehebrecherin" (Johannes 7:53-8:11) ist in einigen der frühen Manuskripte der Bibel nicht enthalten.

* die letzten zwölf Verse des Markusevangeliums sind in den ältesten Abschriften nicht vorhanden. In diesen Versen gibt Jesus seinen Jüngern den Missionsauftrag und verheißt, dass Zeichen und Wunder Ihrer Mission folgen werden. Auf diesen zweifelhaften Text beziehen sich heute noch evangelikal-charismatische Christen und wollen mit "Zeichen und Wundern" die Welt missionieren.

* jedes der Evangelien erzählt eine andere Geschichte über die Kreuzigung und die Auferstehung. Welche stimmt? Gerade aufgrund dieser unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten wurden die Juden als "Christusmörder" verfolgt.

* die meisten Briefe des Paulus wurden nicht von ihm selbst geschrieben bzw. diktiert. Der erste Brief des Paulus an Timotheus wurde nach seinem Tod wahrscheinlich von einem Anhänger des Paulus unter seinem Namen geschrieben. Das bedeutet, Paulus hat den Text "Die Frauen schweigen in der Gemeinde und lernen daheim von ihren Männern" (1. Timotheus 2,11-15) der heute noch in den Kirchen für Kontroversen sorgt, gar nicht selbst verfasst.


Die Rettung der Ehebrecherin vor der Steinigung durch einen wütenden Mob gehört zu den bekanntesten Episoden des Neuen Testaments. Die Worte Jesu` "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" ist mehr als eine populäre Spruchweisheit; sie ist tragender Eckpfeiler christlicher Ethik. Doch was ist, wenn diese Szene niemals Teil des ursprünglichen Manuskripts des Johannes-Evangeliums war, worin sie heute hinterlegt ist, und sie damit jeden Anspruch auf Authentizität verliert?

Diesen wie auch andere Teile des Neuen Testaments untersucht der amerikanische Religionswissenschaftler Bart D. Ehrman in seinem Buch "Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden" im Lichte der modernen Textkritik und schildert ein ganz anderes Bild von der Geschichte "wie die Bibel wurde, was sie ist". Die landläufige Vorstellung der heutigen Bibel als originalgetreue Wiedergabe antiker Vorlagen ist falsch, sie ist vielmehr das Ergebnis eines vielschichtigen Prozesses. 

Ausgehend von der Feststellung, dass uns heute keine Originalmanuskripte des Neuen Testaments zu Verfügung stehen, führt Ehrman den Leser durch die Entstehungsgeschichte des Bibelkanons, dessen Bestandteile von der Antike bis ins Mittelalter hinein in ungeordneter Weise mühsam per Hand vervielfältigt wurden. Dabei kam es zu zahlreichen Kopierfehlern und Änderungen, von denen Ehrmann betont, dass die meisten davon nichts mit Theologie und Ideologie zu tun haben. Doch auch theologische Auseinandersetzungen aus der Anfangszeit des Christentums wie die über die Dreieinigkeit und die Natur Christi` schlugen sich in den Abschriften nieder, um die jeweilige Sichtweise zu unterstützen, von denen sich wiederum die der orthodoxen Fraktion durchsetzte. Auch das veränderte Verhältnis zum Judentum, den Heiden und zur Rolle der Frau in der christlichen Gemeinde führte zu kleinen Änderungen, die aber vollkommen neue Tendenzen in der Interpretation ergaben. 


Es ist eine herausragende und einzigartige Leistung, die Ehrman in seinem Buch vollzieht: auf anschauliche und nachvollziehbare Weise wird den wissenschaftlichen Laien die aufwendige und komplizierte Methodik der modernen Textkritik von den Anfängen der frühen Neuzeit bis heute nahe gebracht, wie die Theologen mit detektivischen Spürsinn durch mühsame Vergleiche der noch vorhandenen Manuskripte aus alter Zeit Abschreibfehler von bewussten Änderungen unterscheiden und so die ursprüngliche Form zu rekonstruieren versuchen.

So erfährt man nicht nur, dass die Geschichte von der Ehebrecherin niemals im Original enthalten war, sondern eben so wenig der berühmte Prolog des Johannesevangeliums, "Im Anfang war das Wort". Den Leser erwartet eine Fülle von Überraschungen und verblüffenden Erkenntnissen, die nicht nur begründete Zweifel an der Verlässlichkeit der modernen Bibelübersetzungen wecken, sondern zwangsläufig auch den traditionellen Glauben und das Neue Testament als überzeugende Grundlage des Christentums in Frage stellen.

 
Stimme im Wesentlichen der Rezession "auf halbem Weg" zu. Das Buch ist für "Einsteiger" ins Thema kritische Bibelexegese geeignet. Es bleibt in Umfang und Tiefe der Darstellungen zum neuen Testament aber dort stehen, wo es kritisch wird, weiterzudenken. Zudem fehlt wirklich viel zum Thema, da vor allem die (für den Bibel-Wortgläubigen) schlimmsten Erkenntnisse fehlen.
Leider gibt es (meines Wissens) kein Werk, in dem dieses Thema vollständig und lesbar zusammengefasst ist, so dass man leider recht viele Bücher dazu lesen muss, um einigermassen informiert zu sein.

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